7:33 Stunden benötigte der TGVA Ultraläufer bei den Deutschen Meisterschaften über 100 Kilometer. Hier sein Bericht:
Dieses Jahr wurden die Deutschen Meisterschaften im 100-Kilometer-Lauf im westfälischen Rheine ausgetragen. Von allen deutschen Meisterschaften im Ultramarathonbereich sind die 100 km bisher die einzigen, die unter der Schirmherrschaft des Deutschen Leichtathletik Verbands (DLV) stattfinden. Austragungsort war in diesem Jahr eine Kaserne der Bundeswehr, die demnächst geschlossen wird. Die Hubschrauber waren bereits abgezogen und die Gebäude schließen in den nächsten Wochen. Die fünf Kilometer lange Laufstrecke führte um den Landeplatz und an den Kasernen vorbei. Zwanzig Mal hieß es diese Strecke zu laufen. Zwei Verpflegungspunkte waren jeweils in einem Hangar untergebracht und boten den Betreuern Wind und Regenschutz. Auch wenn die Strecke sehr eintönig war, so bot die flache durchgehend asphaltierte Strecke die Möglichkeit schnell zu laufen. Im Gegensatz zu vielen anderen Deutschen Meisterschaften finden die 100 km Meisterschaften meistens abseits der Zivilisation statt. Es ist sehr schwierig Genehmigungen von Städten zu bekommen, wenn man plant eine Strecke für den kompletten Tag zu blockieren. Dafür hatten wir vermutlich den am besten bewachten Parkplatz aller Laufveranstaltungen in Deutschland.
Nachdem ich im letzten Jahr in Pilsen meine 100 km Bestzeit von 7 Stunden 30 Minuten auf 7:26 verbessert hatte, sollte bei der DM der nächste Schritt in Richtung Sub 7:20 folgen. Das Training lief soweit sehr gut: Keine nennenswerten Krankheiten sowie Verletzungen, keine anstrengenden Geschäftsreisen nach Asien in der Hauptvorbereitungszeit und gute Trainingsergebnisse. Rechtzeitig zum Lauf hatte auch die Kältewelle mit zweistelligen Minusgraden ein Ende. Dieses Mal begleitete mich auch meine Frau zum Wettkampf. Nach einer Besichtigung der Stadt Münster ging es zur Kaserne. Dort konnten wir unseren Verpflegungstisch in der offiziellen Verpflegungszone für den nächsten Tag aufbauen. Das Rundenlaufen und die Wendepunktstrecke kurz vor der Verpflegungszone bieten den Vorteil, dass man seiner persönlichen Betreuerin genau sagen kann, wie man sich individuell verpflegen will oder Kleidungsteile an oder ausziehen möchte. Als Betreuerin hat man alle Hände voll zu tun: Getränke und Essen vorbereiten, Rundenzeiten kontrollieren (meistens läuft man zu schnell und muss von außen zum langsameren Laufen aufgefordert werden), Abstände und Verfassung der Laufkonkurrenz im Blick haben, positive Energie ausstrahlen und motivieren etc.
Der Start war für 6:00 morgens vorgesehen. Somit hieß es um 3:00 nachts aufstehen und frühstücken. Das Starterfeld sammelte sich auf dem Flughafen in der regnerischen Dunkelheit. Für knapp eine Stunde sollten wir im Dunkeln laufen. Zur Orientierung war dafür die Strecke mit Knicklichtern versehen worden. Gleichzeitig bot dies auch ein beeindruckendes Bild auf dem Rollfeld. Der Regen sollte nach etwas mehr als einer Stunde weichen und die Morgentemperaturen von 4 Grad stiegen im Laufe des Tages auf 15 Grad an. Im Laufe des Tages frischte der Wind auf. Das Flugfeld bot leider keinen Windschutz.
Sub 7:20 auf 100 km bedeutet einen km-Schnitt von 4:24 Minuten. Daher wählte ich anfangs ein Tempo von 4:21 um Zeit für Toilettenpausen und einen zeitlichen Puffer gegen den immer stärker werdenden Wind zu haben. Da ich mich strikt an meinen Laufplan halte, laufe ich in der Regel alleine. Eine Medaille hatte ich mir vorher durchaus ausgerechnet. Nach 30 km war ich auf dem 10. Platz und hielt mich weiterhin an meine Planung. Erfahrungsgemäß kommt es auf den letzten 30 Kilometer meistens noch zu vielen Positionsverschiebungen. Den Marathon laufe ich nach Plan in 3:04 und die 50 km in 3:38. So läuft es bis km 70 weiter. Durch mein konstantes Laufen konnte ich mich Stück für Stück im Gesamtklassement nach vorne arbeiten. Aber ab Kilometer 70 tauchen muskuläre Probleme auf. Ein Muskel in der rechten Wade beginnt zu zucken und diese Zuckungen sollen mich bis zum Ende des Laufes begleiten. Zum Glück wurde der Krampf nicht ausgelöst und es blieb bei den Zuckungen. Dennoch machen als nächstes die Abduktoren Probleme und ab km 75 beginne ich mein Tempo auf einen 5er Schnitt zu reduzieren. Mehr ließen die Muskeln nicht zu. Zu diesem Zeitpunkt muss ich mich von meiner neuen Bestzeit verabschieden und schwenke auf den Plan B um. Verteidigung der Platzierung im Feld. Meine Frau ruft mir zu, dass ich Gesamt-Dritter bin und der Führende in der AK 40 bin. Mit 13 Minuten Vorsprung. Ohne persönlichen Betreuer ist man in solchen Situationen blind und hat keine Möglichkeit zum taktischen Laufen. Diesen Vorsprung hieß es nun zu verteidigen. Am Ende reichte es zu einer Zielzeit von 7 Stunden 33 Minuten und der Verteidigung der Position.
Vermutlich hab ich nicht gemerkt, dass ich im kühlen Wind nicht ausreichend getrunken habe und die Dehydration hat zu den mir bisher nicht bekannten Muskelproblemen geführt. Man lernt nie aus. Auf einer so langen Strecke haben Kleinigkeiten einen großen Einfluss auf das Endergebnis. Jetzt freue ich mich erst mal auf wärmere Temperaturen im Frühling und im Juni fliege ich nach Lissabon um die 620 km lange Strecke nach Santiago de Compostella ohne Wettkampf und Zeitstress privat in 10 Tagen mit einem 20 Liter Rucksack zu laufen.